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DIGITAL

ANALOG

Kontakt: felix@goettle-kunst.de

In dieser Ausstellung thematisiert Stefan-Felix Göttle einen aktuellen Gegenstand unserer Gesellschaft:
DIGITAL - ANALOG GLATT - RAU EINSCHICHTIG - MEHRSCHICHTIG.
Darin verwendet er Datenträger, die zu Abfallprodukten geworden sind. Einerseits greift Stefan-Felix Göttle deren Funktionalität als Datenträger im übertragenen Sinn in seinen Arbeiten auf, andererseits entfunktionalisiert und transformiert er diese in neue Wahrnehmungs-Verknüpfungen.Besuchen Sie durch anklicken der kleinen Bilder die 16 verschiedenen Ausstellungs-"räume". Lassen Sie sich anregen, aufregen, ... . Über Ihre Rückmeldung freue ich mich.

rau-glatt

Durchblick

Achilles

Iphigenia

Spuren der Schöpfung

Arkadien

Digi-Ana

Quadratur der Scheibe

CD-Klang

CD-Flash

Licht-virtuelle-materiell

Kuchen aus CDs

schwirrend

Sand der Zukunft

Wald-strukurell

Digitalfood

Digitale Erfrischung

Rede von Dr.Busso Diekamp (Kunsthistoriker) anlässlich der Kunstausstellung mit Arbeiten von Stefan-Felix Göttle in der Galerie der Sparkasse Worms - Oktober 2002

"Verehrte Damen, meine Herren,


nach der Performance des zum klingenden Mühlrad umfunktionierten Motorrad-Vorderrades ist uns allen klar: Mit seinen Werken will Stefan-Felix Göttle die menschlichen Sinne umfassend anregen.
Zunächst ist es die überbordende Farben- Form- und Materialvielfalt der Gemälde und Objekte, die beim Betreten der Ausstellung ins Auge sticht. Dann nähern wir uns den Bildern: Großzügig ist überall die Farbe pastos auf die Leinwand aufgetragen und aufgespachtelt oder es sind Spuren unserer Alltagwelt, die collageartig auf den Bildträger aufgebracht sind. Das Relief der Bildoberfläche regt dazu an, mit den Händen darüberzufahren - und so wundert es uns auch nicht, dass der Künstler direkt dazu einlädt, den musealen Abstand zwischen Kunstwerk und Betrachter zu überwinden: Während in Museen Berührungen von Gemälden in der Regel Alarm und eine strenge Ermahnung des Wachpersonals zur Folge haben, werden die Besucher am Kunstrasenberg am Eingang zu Ausstellung - frei nach Karl Valentin - aufgefordert: "Vorsichtiges Berühren dieser beiden Arbeiten ist strengstens erwünscht".

Diese Animation von Auge, Ohr und Hand wird heute Abend geschmacklich abgerundet durch das kleine Wormser Gedeck der Sparkasse, das wir schon sehnlich warten. Aber bleiben wir noch einige Minuten bei den Kunstwerken.

Irritiert nehmen wir die dargebotene Formen- und Themenvielfalt der Werke wahr. Für Stephan-Felix Göttle ist Kunst im ursprünglichen Sinne ein Spiel mit Formen, Farben und Gebrauchsspuren unserer Alltags- und Konsumwelt. Er bezeichnet sich auf seiner Homepage www.goettle-kunst.de selbst als Multidilettant, was nichts mit dem Pejorativum dilettantisch zu tun hat, sondern - im ursprünglichen Wortsinn - vom ital. ,dilettare' abgeleitet ist: "erfreuen, ergötzen, unterhalten, aus Liebhaberei beschäftigen" bedeutet. Die Kunst des Dilettanten entsteht aus der Leidenschaft, sich im Leben auf vielfältige Weise zu entfalten.

Mit der in der Ausstellung gezeigten Vielfalt entzieht sich Göttle bewusst einer stilistisch eindeutigen Kategorisierung, ... . Göttle ist nicht nur Objektkünstler, wie Marcel Duchamp, die Surrealisten oder Jean Tingueley aufgesammelte, triviale Produkte aus unserer Alltagswelt - objets trouvés - zu Ready-mades, Collagen und zweckfreien Phantasiemaschinen komponiert, sondern er malt und zeichnet zur selben Zeit ganz traditionell Akte oder spachtelt flimmernde Landschaften direkt auf die weiße Leinwand - Landschaften, die an die Postimpressionisten erinnern.
Ein bestimmtes Label lässt sich Stefan-Felix Göttle nicht anhängen.

In mehreren, kaum getrockneten Werken der jüngsten Schaffensperiode begegnen uns spiegelblanke oder übermalte, perfekt erhaltene oder zerbrochene CDs - objets trouvés aus unserer modernen Computerwelt. Massenhaft hat Göttle die silber-, gold-, bläulich oder grünlich schimmernden kleinen runden Scheiben, die uns tagtäglich im Berufsalltag oder als Werbepräsent begegnen, gesammelt, um sie für seine Materialcollagen zu verwenden.In Korrespondenz mit der Malerei bildet die CD das Leitmotiv der Ausstellung: Als perfekter glatter Gegenstand ist die CD Symbol unserer unsinnlichen vernetzten Computerwelt. Gleichzeitig symbolisiert die CD aber auch die Entmaterialisierung der geistigen und mechanischen Arbeitsprozesse: Denn während beim Handwerker oder an der Maschine des Industriezeitalters noch der Arbeitsprozess sichtbar ist, sich in Büchern die Buchstaben als sichtbare Daten zu Wort- und Satzbedeutungen zusammensetzen, verbirgt die CD die auf ihr gespeicherten digitalisierten Daten. Gegen die glatte perfekte Oberfläche der CD steht die Farbe auf der Leinwand, die durch ihren pastosen Auftrag nicht nur visuell, sondern auch haptisch erfahrbar wird und den handwerklich künstlerischen Prozess zu erkennen gibt.

Das hochformatige überlebensgroße Bild "Achilles 2002" steht für den vernetzten, gläsernen Menschen: Die CDs sind durch rote Farbe mit dem Untergrund verbunden - rote Farbe, die für Blut, Leben, aber auch Verletzlichkeit steht. Wie ein Panzer umschließen die CDs die Figur; nur die Stelle, die spiegelbildlich das Herz symbolisiert, ist freigelassen. Mit der Flex hat der Künstler Spuren in den Panzer geschnitten, den gläsernen Menschen freigelegt und verletzt. Achilles ist das Pendant zu unserem Siegfried - wie die Ilias das Pendant zum Nibelungenlied ist: Achilles und Siegfried sind perfekte, fast allmächtige Menschen - verwundbar nur an einer Stelle. Bei Achilles war es bekanntlich die Ferse, an der ihn die Mutter Thetis festhielt, als sie ihn nach der Geburt in einen Kessel sie den den Wassers, einer anderen Überlieferung nach in das Wasser des Styx tauchte, woraufhin Achilles bis auf diese Stelle unverwundbar wurde; das wurde ihm vor Troja zum Verhängnis, als ihn die todbringenden Pfeile des Paris und Apollon in die Ferse trafen.

Aus eine CD-Schichttorte ist ein Tortenstück ausgeschnitten. Daten fließen aus dem Datenkuchen.

In der Materialcollage "Digital food for everyone" ist die Beziehung Mensch. - Computer allegorisch auf die Spitze getrieben: Vom Schnuller bis zum künstlichen Gebiss - von der Wiege bis zum Grab - werden wir mit Daten gefüttert, aber auch als Daten verfüttert. Der CD-Teller ersetzt natürliche durch künstliche Kost!

In zwei Collagen, die sich in goldenem Stuckrahmen wie klassische Gemälde präsentieren, werden die CDs dagegen als künstlerisch verwertbare Materialien ganz auf ihren sinnlichen, ästhetischen Wert reduziert: Mit dem Relief des tiefgrünen Kunstrasens und dem als unverdünntes, reines Pigment aufgetragenen Ultramarin bilden in der Collage "Arkadien 2002" vollständige und zerbrochene Scheiben eine magisch in die Tiefe ziehende, surreale Landschaft.

Wie pastos aufgetragene Farbe hat auch offenbar unterschiedlich gekörntes und gefärbtes, gebrauchtes oder ungebrauchtes Schleifpapier einen visuellen und haptischen Reiz: Im barocken Rahmen ordnen sich auf der Collage "Waldstrukturen mit CD-Blättern" zerbrochene CDs und Streifen von Schleifpapier in einer Farbabstufung von gelb über ocker bis rot sowie Kunststoffgranulat und Sand zu einer Baumlandschaft - analog zu den gemalten, genauer: gespachtelten Baumlandschaften. Die Acrylfarbe dient quasi als Klebstoff, durch den die Gegenstände mit dem Bildträger verbunden sind. ...

Kommen wir zu den in Acryl gemalten Landschaften: Es sind keine konkreten Ansichten, die vor der Natur oder nach Naturskizzen im Atelier entstanden sind. Es sind farblich überbordende Seelen- oder Gefühlslandschaften, worauf auch die Titel verweisen - z.B. "Auf Bäumen" oder "Winterlich treibend".

Für die Assoziation Baum scheint Göttle eine besondere Vorliebe bei seinen Landschaftsbildern zu haben. Das schlichte Baummotiv hat eine lange Tradition in der deutschen Malerei, denken wir nur an Caspar David Friedrich. Bei Christian Rohlfs löst sich in dessen Wald-Bildern, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden, die geschlossene Form in lebhaften Pinselstrichen auf, in denen die reine, ungemischte Farbe - wie bei den französischen Postimpressionisten - nebeneinander aufgetragen wird. Eine ähnliche, flimmernde Farbfläche erzeugt Göttle in seinen Baumbildern. Pastos verspachtelt verwandeln die farbigen Tupfer und Streifen die Oberfläche des Gemäldes in ein Feld dynamischer Spannungen. Göttle, der im waldreichen Schwabenland aufwuchs, hat - wie er selbst sagt - eine natürliche Beziehung zum Wald. Eine im Nationalcharakter begründete Affinität der deutschen Kunst zum Wald möchte ich aus dieser Ahnenreihe von der Romantik bis Göttle aber nicht ableiten. Auch die Maler von Barbizon (Corot, Thédore Rousseau, Charles-Francois Daubingny) - um nur einige Beispiele zu nennen - haben einmalige Baum- und Waldlandschaften gemalt.

Am Schluss kommen wir zur Krönung der Schöpfung, zum Menschen, genauer: zur Frau - als Aktdarstellung in Zeichnungen , Gemälden und Monotypien von Stefan-Felix Göttle. Das Zeichnen, Malen, Modellieren nach dem Aktmodell gehört heute nicht mehr unbedingt zum Kanon des akademischen Kunststudiums. Die Kunsthochschule, wo sich heute der Student in der Klasse eines mehr oder weniger berühmten, häufig abwesenden Kunstprofessors in der Regel selbst überlassen bleibt, zog Göttle nicht an - ... . Mit der Darstellung des menschlichen Körpers setzt er sich - allein oder in der Gemeinschaft gleichgesinnter Dilettanti - immer wieder auseinander. Göttles Aktdarstellungen bleiben dabei auch als Gemälde immer skizzenhaft, was keine abwertende Bedeutung hat. Das Wort Skizze stammte vom ital. "schizzo", das die Grundbedeutung von Spritzer, Fleck besitzt, während das Verb "schizzare" spritzen, flüchtig schildern und sprühen im Sinne von "esprimere", ausdrücken, bedeutet. Daraus lassen sich folgende Bedeutungsaspekte für Skizze als Terminus der bildenden Kunst ableiten: Freier und unkonventioneller Umgang mit bildnerischen Mitteln, Knappheit der Darstellung, die zur Vernachlässigung des Details führt; Unmittelbarkeit und Kraft des Ausdrucks; Skizze bezeichnet in diesem Sinne eine spezifische Art und Weise der bildlichen Darstellung. Skizze und ausgeführtes Bild sind, wie Diderot feststellt, von grundsätzlich verschiedenem Charakter. In seinen ästhetischen Schriften sagt er: "In der Literatur wie in der Malerei ist es keine Kleinigkeit, seine Skizze aufrechtzuerhalten... Das Lässige an einer Komposition gleicht dem Negligé einer hübschen Frau - kurz darauf verdirbt das Ankleiden alles." Will heißen: Wie eine Frau, die sich in ihren privaten Räumen im Morgenrock bewegt, sich aber sorgfältig und "à la mode" kleidet, sobald sie sich in Gesellschaft begibt, gehört die Skizze einer privaten Sphäre an und lässt die Bildidee in ihrer Ursprünglichkeit und Frische erscheinen, während das für die Öffentlichkeit bestimmte Bild nach festen Regeln ausgearbeitet wird und dabei allzu leicht an Lebendigkeit verliert. Die Skizze ist - nach Diderot - in weit geringerem Maße Konventionen unterworfen als ein ausgeführte Bild und bietet daher die Möglichkeit des freien Experimentierens. Seit dem 19. Jahrhundert, also nach Diderot, wuchs die Skizze - verbunden mit ihrer Loslösung von der traditionellen Entwurfsfunktion - verstärkt in das Endprodukt hinein und ist heute selbstverständlich ein ausstellungswürdiges Kunstwerk.

Ein wichtiges künstlerisches Anliegen ist für Göttle bei den Aktzeichnungen die Beziehung zwischen Figur und Raum. Die Komposition beginnt nicht mit geschlossenen, vom umgebenden Bildraum isolierten Körperformen, was leicht zu falschen Proportionen führen würde; Ansätze für die Komposition sind häufig Durchblicke, z.B. ein Dreieck zwischen gebeugtem Arm und Rücken. Weiteres will ich nicht verraten... Wer mehr darüber erfahren will, dem empfehle ich, sich den Kunstliebhabern um Stephan-Felix Göttle anzuschließen, die in diesem Jahr zur Hochheimer Kerb mit ihren Aktskizzen in der Zehntscheuer an die Öffentlichkeit traten. Ich wünsche Stefan-Felix Göttle weiterhin ein glückliches Experimentieren und ,dilettare'.

Ihnen - meine Damen und Herren - danke ich für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen viel Freude mit den ausgestellten Werken."


Worms im Oktober 2002, Dr. Busso Diekamp

Impressum: Stefan-Felix Göttle , © 2002, Letze Änderung am 10-Apr-2003